Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 21. März 2023 für eine bahnbrechende Entscheidung im Abgasskandal gesorgt (Az.: C-100/21). Der EuGH hat deutlich gemacht, dass Autohersteller sich schon dann schadenersatzpflichtig gemacht haben, wenn unzulässige Abschalteinrichtungen nicht in betrügerischer Absicht, sondern nur fahrlässig verwendet wurden. „Die verbraucherfreundliche Rechtsprechung des EuGH wird sich auch positiv auf die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen im Fiat-Abgasskandal oder bei Wohnmobilen auf Basis eines Fiat Ducato auswirken“, sagt Rechtsanwalt Andreas Schwering.
Bislang waren deutsche Gerichte davon ausgegangen, dass Schadenersatzansprüche im Dieselskandal nur dann bestehen, wenn nachgewiesen werden kann, dass der Autobauer bei der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat. Nach der EuGH-Entscheidung muss nun kein Vorsatz mehr nachgewiesen werden. „Das erleichtert die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erheblich. Zumal der BGH bereits angedeutet hat, dass er der Rechtsprechung des EuGH folgen wird“, so Rechtsanwalt Schwering.
Ein Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ist für Schadenersatzansprüche keine Voraussetzung. Davon können auch Fiat-Kunden oder Käufer von Wohnmobilen, die auf einem Fiat Ducato basieren, aufbauen.
Razzia bei Fiat
Fiat geriet im Sommer 2020 im Zusammenhang mit Abgasmanipulationen in die Schlagzeilen, als die Staatsanwaltschaft Frankfurt eine Razzia am Deutschland-Sitz von Fiat Chrysler in Frankfurt, beim Schwesterunternehmen Iveco in Ulm und anderen Standorten durchführen ließ. Bei den Ermittlungen geht es um den Verdacht unzulässiger Abschalteinrichtungen bei Modellen der Marken Fiat, Alfa Romeo, Jeep und Iveco. Mehr als 200.000 Fahrzeuge mit den Abgasnormen 5 und 6 sollen bundesweit betroffen sein, darunter viele Sonderformen, zu denen auch Wohnmobile zählen.
Wie die Polizei Frankfurt mitteilte, können Fahrzeuge der Baujahre 2014 bis 2019 mit folgenden Motoren betroffen sein:
- 1,3 Liter Multijet
- 1,3 Liter 16V Multijet
- 1,6 Liter Multijet
- 1,6 Liter
- 2,0 Liter Multijet
- 2,0 Liter
- 2,2 Liter Multijet II
- 2,3 Liter
- 2,3 Liter Multijet
- 3,0 Liter
Diese Motoren werden bei zahlreichen Fiat-Fahrzeugen eingesetzt, u.a. auch beim Fiat Ducato, auf dem wiederum zahlreiche Wohnmobile aufbauen.
Auch Wohnmobile / Fiat Ducato betroffen
Zahlreiche Gerichte haben bei Wohnmobilen auf Basis eines Fiat Ducato inzwischen Schadenersatz zugesprochen. Hier ging es zumeist um eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Zeitschaltuhr. Diese sorgt dafür, dass die Abgasreinigung nach ca. 22 Minuten reduziert bzw. ganz abgeschaltet wird. Damit ist sie gerade lange genug für den rund 20-minütigen Abgastest im Prüfmodus aktiv, so dass dann die gesetzlichen Grenzwerte für den Stickoxid-Ausstoß eingehalten werden. Nach Ablauf der 22 Minuten steigen die Emissionen jedoch erheblich an.
Das LG Halle hat mit Urteil vom 10. Mai 2023 Schadenersatz wegen der Verwendung eines Thermofensters bei einen Wohnmobil mit einem Fiat-Multijet-Motor zugesprochen. Thermofenster bei der Abgasreinigung sorgen dafür, dass die Abgasreinigung nur in einem festgelegten Temperaturkorridor vollständig arbeitet und bei sinkenden Außentemperaturen reduziert wird, mit der Folge, dass der Stickoxid-Ausstoß steigt.
Schadenersatz wegen Thermofenster
Der EuGH hat bereits mehrfach klargestellt, dass solche Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen. Das LG Halle folgte nun ausdrücklich der Rechtsprechung des EuGH, nach der ein Schadenersatzanspruch auch schon durch die fahrlässige Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung besteht.
Rechtsanwalt Schwering: „Dem Urteil des LG Halle werden sicher viele weitere folgen. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH lassen sich auch Schadenersatzansprüche gegen Fiat im Abgasskandal durchsetzen. Zumal der BGH bereits angedeutet hat, dass er sich der Rechtsprechung des BGH anschließen wird“, so Rechtsanwalt Schwering.
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