Schadenersatzansprüche sind im Abgasskandal bis zehn Jahre nach Kauf des Autos durchsetzbar. Das hat der Bundesgerichtshof mit Urteilen vom 21. Februar 2022 entschieden (Az.: VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21). Der BGH machte deutlich, dass im Abgasskandal auch der sog. Restschadenersatzanspruch gemäß § 852 BGB geltend gemacht werden kann. Dieser Anspruch verjährt erst auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Kauf des Autos. Voraussetzung für den Restschadenersatzanspruch ist allerdings, dass das Fahrzeug als Neuwagen gekauft wurde.
Nach dem Urteil des BGH müssen viele geschädigte Autokäufer, die bislang noch keine Ansprüche im Abgasskandal geltend gemacht haben, nicht auf Schadenersatz verzichten. „VW und andere Hersteller können nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht auf Verjährung der Schadenersatzansprüche aufgrund der dreijährigen Verjährungsfrist verweisen. In vielen Fällen lässt sich auch noch nach zehn Jahren Schadenersatz durchsetzen“, sagt Rechtsanwalt Andreas Schwering.
Im September 2015 flog bekanntlich der Dieselskandal auf. Es wurde bekannt, dass Volkswagen bei Dieselfahrzeugen der Konzernmarken VW, Audi, Seat und Skoda eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet hat.
Der BGH urteilte im Mai 2020, dass sich VW im Abgasskandal grundsätzlich schadenersatzpflichtig gemacht hat. Für viele Verbraucher, die bis dahin noch keine Schadenersatzansprüche geltend gemacht hatten, kam das Urteil jedoch zu spät. Aufgrund der dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist waren ihre Ansprüche auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB bereits Ende 2019 verjährt.
So war es auch bei den beiden Klägern in den Verfahren vor dem BGH. Sie hatten in den Jahren 2012 und 2013 einen VW Golf bzw. VW Eos mit dem Dieselmotor EA 189 als Neuwagen gekauft. Nachdem sie den Rückruf erhielten, weil die unzulässige Abschalteinrichtung entfernt werden musste, ließen sie das folgende Software-Update aufspielen. Klage auf Schadenersatz erhoben sie erst 2020.
Zu spät, urteilten die Vorinstanzen. Grundsätzlich bestehe zwar ein Anspruch auf Schadenersatz, dieser sei allerdings verjährt.
Die Kläger müssen dennoch nicht leer ausgehen. Der BGH bestätigte zwar, dass der Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung verjährt sei, allerdings bestehe ein Anspruch auf Restschadenersatz gemäß § 852 BGB, der erst zehn Jahre nach Kauf eines Neuwagens verjährt. VW habe die Fahrzeuge mit der unzulässigen Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht und die Käufer dadurch geschädigt. Daher müsse VW das Erlangte wieder herausgegen, so der BGH. Praktisch heißt das, dass die Kläger gegen Rückgabe des Fahrzeugs die Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung für die gefahrenen Kilometer verlangen können.
Vor dem BGH ging es zwar noch um VW-Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA 189. „Das Urteil hat jedoch viel weitreichendere Bedeutung. Auch andere Hersteller wie Audi, Porsche oder Mercedes können sich nicht auf Verjährung berufen“, so Rechtsanwalt Schwering.
Im Abgasskandal ist von der dreijährigen kenntnisabhängigen Verjährungsfrist auszugehen. Kenntnis wird in der Regel mit dem Erhalt des Rückrufschreibens vorausgesetzt. Hat jemand 2018 den Rückruf erhalten, könnten seine Schadenersatzansprüche Ende 2021 verjährt sein. „Das Urteil des BGH kommt nun gerade für Käufer eines Audi, Porsche oder Mercedes, die 2018 einen Rückruf erhalten haben, rechtzeitig. Sie können immer noch Schadenersatzansprüche gemäß § 852 BGB geltend machen“, so Rechtsanwalt Schwering.
Dennoch kann in einigen Fällen Eile geboten sein. Der sog. Restschadenersatzanspruch verjährt auf den Tag genau zehn Jahre nach Kauf des Autos. Wer 2012 einen Neuwagen gekauft hat, sollte also jetzt handeln. Bei gebraucht gekauften Fahrzeugen besteht der Restschadenersatzanspruch nach der Rechtsprechung des BGH nicht.